Interview: Verhältnismäßigkeit vs. Angemessenheit und die Kommunikation mit den Taliban

Heute wurde bei Welt Online ein Interview mit dem Verteidigungsminister veröffentlicht. Ich will im folgenden nur auf zwei Apsekte ingehen, die interessant sind.

Am Freitag hatte ich geschrieben, dass der Minister an den derzeitigen Vorwürfen selbst schuld sei, da er eine juristische Bewertung vorgenommen habe, anstatt einer politischen. In dem Interview bezeichnet zu Guttenberg seine eigene Einschätzung als eben nicht juristisch. Er verweist dazu natürlich an die Bundesanwaltschaft, die die juristischen Konsequenzen ermitteln müsse.

Schauen wir einmal kurz in das Völkerstrafgesetzbuch. Paragraph 11, Absatz 1.3 gibt an:

§11, 1.3 Wer im Zusammenhang mit einem internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt mit militärischen Mitteln einen Angriff durchführt und dabei als sicher erwartet, dass der Angriff die Tötung oder Verletzung von Zivilpersonen oder die Beschädigung ziviler Objekte in einem Ausmaß verursachen wird, das außer Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil steht wird mit Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren bestraft. […]

M.E. erschließt sich juristisch gesehen aus der Verhältnismäßigkeit eines Angriffs doch letztlich nahezu automatisch die Angemessenheit. Oder liege ich da falsch? Also wenn die Verhältnismäßigkeit festgestellt wurde, war der Angriff militärisch angemessen. Nur weil das Wort „angemessen“ nicht im VStGB vorkommt, kann man aber dennoch die Aussage des Ministers „juristisch“ nennen, auch wenn er diese juristische Einschätzung politisch nutzte.

Ein anderer Punkt des Interviews tangiert den deutschen Umgang mit den Taliban. Vor Veröffentlichung des Interviews war davon die Rede, der Minister wolle mit „gemäßigten Taliban“ reden. Aus dem Interviewtext erschließt sich dann jedoch ganz klar, dass zu Guttenberg das nicht nur so nicht gesagt hat, sondern auch im Grunde vieles offen hält (via Augen geradeaus!). Der Minister greift das Stichwort „Kommunikationskanäle“ im Zusammenhang mit den Aufständischen übrigens selbst auf. Und zwar als Antwort auf die Frage zu den Erwartungen an die Afghanistankonferenz:

Guttenberg: Den Realitäten vor Ort gerecht werden; Abzugsperspektiven ohne Koppelung an Enddaten; keine reine Truppenstellerkonferenz. Wir brauchen ein besseres Verständnis von Regionalisierung – Einbindung der Nachbarn, und innerhalb des Landes, etwa bei der verantwortbaren Übergabe von Gebieten an die afghanischen Sicherheitskräfte. Man wird auch darüber nachdenken müssen, ob das, was Henry Kissinger „Kommunikationskanäle“ genannt hat, politisch nachzuschärfen ist. Nicht jeder Aufständische bedroht gleich die westliche Gemeinschaft.

Welt am Sonntag: Kanäle zu Talibangruppen?

Guttenberg: Zu Volksgruppen und Stämmen, solange man sich dadurch nicht selbst eine Falle stellt. Es gibt Unterschiede zwischen Gruppen, die aus der radikalen Ablehnung des Westens die Bekämpfung unserer Kultur zum Ziel haben, und etwa solchen, die sich ihrer Kultur vor Ort verbunden sehen. Das Abschneiden von jeglicher Kommunikation halte auch ich mittlerweile nicht mehr für allein gültig – allerdings müssen Kriterien gelten.

Als zu Guttenberg am 12. November 2009 in Masar-e-Sharif vor Soldaten sprach, hatte ich auf eine kleine Ungenauigkeit in seiner Rede hingewiesen, die vermutlich genau den Punkt berührt, der jetzt kurz vor der Afghanistankonferenz diskutiert wird. Will man langsam darauf vorbereiten, dass gewisse Gruppen an der Konferenz teilnehmen werden, die momentan dort nicht erwartet werden?

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